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Interview mit Erika Hummer

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

mit November 2019 ging Erika Hummer in Pension. Sie war jahrzentelang in verschiedenen Rollen sehr aktiv im Bildungsbereich in Österreich, besonders in Wien, wo sie maßgeblich die eLearning-Community mit ihrer Expertise und mit ihrem Organisationstalent prägte. Als Koordinatorin von eLSA (eLearning im Schulalltag), eSchools Vienna und als Bundeslandskoordinatorin (AHS) für eEducation konnte sie viele tausende Menschen zusammenbringen, und dadurch wesentlich dazu beitragen, dass eLearning an Schulen vorangetrieben wurde. 

In diesem Bericht möchten wir Erika und ihre Arbeit würdigen, und gleichzeitig mehr über sie und ihre Errlebnisse erfahren. 


Wie würdest du deine Schulzeit beschreiben? Welche Medien waren damals in Verwendung?

Meine Schulzeit fand von 1961 bis 1973 statt. Die Volksschule und Unterstufe des Gymnasiums habe ich unproblematisch, lustvoll, in relativ großen Klassen und mit vielen Freundinnen (!!) erlebt. Die Oberstufe des Gymnasiums war für mich eher mühsam. Der Unterricht war extrem konservativ.

 Medien, außer gebrauchten Schulbüchern (1972 startete die Gratis-Schulbuchaktion), gab es kaum. Irgendwann in der 7. und 8. Klasse wurden uns Super 8 Filme gezeigt. Der Umgang mit den Vorführgeräten war für die meisten Lehrer/innen ein unüberwindbares Hindernis. 



Aber ein gewisser Leidensdruck nötigt auch sonst den Technologien abgeneigt gegenüberstehenden Lehrer/innen sich damit auseinanderzusetzen: Ich kann mich schmunzelnd daran erinnern, dass es in der 7. Klasse unserer Biologielehrerin peinlich war, im Rahmen des Lehrplanes über Verhütung und Sexualkunde zu sprechen. Der Druck war so groß, dass sie sich damit beschäftigte wie man einen Film abspielt, der uns das Thema näherbringen sollte. Hat funktioniert und wir haben uns köstlich amüsiert – über den Film natürlich.



Es gab schon Schulfernsehen und Radiosendungen für den Unterricht, die aber an unserem Gymnasium jedoch nie eingesetzt wurden.

Der „Schulfernseher“ schon: Der Sportlehrer der Burschen war ein fanatischer Schifahrer und so haben wir alle wichtigen Schirennen gemeinsam im Unterricht verfolgt. Da fiel schon manchmal Latein oder Englisch aus.
Unser Geographieprofessor hielt im Unterricht immer wieder „Diavorträge“ von seinen Reisen mit dem Motorrad durch Afrika oder sonst wo hin.

Von didaktischer Aufbereitung war da nie die Rede: Filme, Fernsehen und Dias waren Ausnahme und für uns nicht mehr als willkommene Unterhaltung.

 In unserer Freizeit nutzten wir damals Musikkassetten: Wir sammelten Hits die wir aufnahmen, während sie in Ö3 gespielt wurden. So ersparten wir uns Geld für teure Schallplatten. Illegaler „Download“, würde man heute sagen.


Wie kam es dazu, dass du Lehrerin wurdest?

Der Berufswunsch „Lehrerin“ war seit meinem 5. Lebensjahr klar und dieses Ziel habe ich erfolgreich verfolgt. Warum, das kann ich nicht genau sagen. In meiner Familie gab es nie Lehrer/innen. 
Ich „kommandierte“ immer gerne Freunde und Freundinnen „herum“, „wusste immer alles besser“, habe schon als Kind alle möglichen Aktivtäten organisiert (Kinderzirkus, diverse Feste und Partys, habe „Clubs“ gegründet, später Reisen u.v.m. organisiert). Nach einem Au-pair Sommer nach der 7. Klasse gab ich mit viel Enthusiasmus und Fantasie Englisch Nachhilfe.


Welche Menschen waren für dich über die Jahre wichtig? Wie haben sie dir geholfen?

In erster Linie meine Eltern: Mein Vater, der mir gezeigt hat, dass man mit Hartnäckigkeit und Ausdauer gesteckte Ziele erreichen kann und sich immer wieder neue Ziele stecken und neugierig bleiben muss. 
Meine Mutter, die ein ausgesprochener Menschenfreund war. Sie hat in mir Empathie, Toleranz, Interesse für andere Kulturen und Denkweisen geweckt.

Dann ein paar wenige Lehrer/innen meiner Gymnasialzeit und meinen ersten Jahren als Lehrerin.
 Eine Mathematikkollegin am Gymnasium, wo ich unterrichtet habe war die erste, die mir gezeigt hat, wie schön Mathematik sein kann: mit dem Computerprogramm Derive etwa 1990.


Und besonders beeindruckt haben viele junge, innovative Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler, die Außergewöhnliches ausprobiert haben und da und dort Grenzen gesprengt hab.



Wer hat geholfen? Hm ... Am meisten Kraft und Energie und Bestätigung für meine Arbeit hab ich aus gelungenem Unterricht geschöpft. Das heißt, wenn ich gemerkt habe, dass den Schüler/inne/n der Unterricht nicht nur Spaß gemacht hat, sondern wenn ich sie auch zu außerordentlichen Leistungen motivieren konnte.
Mein Lieblingsfeedback eines Schülers: Mit ihnen zu Lernen ist super. Weil sie sind ja keine echte Lehrerin. *gg*



Und die Kolleg/inn/en des eLSA-Netzwerkes, die wir uns „Innovativen“ gegenseitig immer wieder das Rückgrat gestärkt haben.


Was hat dich überrascht, als du immer mehr Praxis im Beruf gewonnen hast?

Dass gewisse Dinge, über die im Studium (damals) nie gesprochen wurde, die mir aber sehr logisch erschienen auch wirklich funktionier(t)en: 


  • Intensive Beziehungsarbeit mit den Schüler/inne/n ist wichtiger als den „Stoff durchzuziehen“. Wenn wechselseitiges Vertrauen und Respekt vorhanden sind, dann machen Lehren und Lernen Freude.
  • Den Schüler/inn/en muss man vorleben, dass man selbst immer ständig Neues lernen muss, oftmals gemeinsam mit oder auch von ihnen.
  • Fehler sind ein „Schatz“: daran kann man wachsen.
  • Unruhige und „lästige“ Schüler/innen haben sehr oft versteckte Fähigkeiten und nicht ausgesprochene Interessen. Die muss man entdecken. Ich fand diese Schüler/innen immer am Interessantesten. ;-)
  • Eine Stunde, in der nicht mindestens einmal gelacht wird, war keine gute Stunde.

Was ist die größte Veränderung im Bildungswesen, die du über die Jahre beobachten konntest?

Das waren: die Schulbuchaktion, kleinere Klassen, innovativer Unterricht in den Volksschulen, Versuch zu individualisieren, mehr Mitspracherecht der Schüler/innen, die Öffnung der Schulen für internationale Projekte (eTwinning, Erasmus), digitale Medien und die Einsicht, dass der Lehrer, die Lehrerin, nicht die alleinigen Wissens“lieferanten“ sind und Wissen zu vermitteln nur eine unserer wichtigsten Aufgaben ist.


Wie kam es dazu, dich in informatischen Kompetenzen und E-Learning zu spezialisieren?

Da ich Italienisch und Geschichte studiert hatte, gab es wenige Stunden an den Schulen für mich. 1985, mit der Einführung von EDV an den AHS (5. Klasse) ergriff ich die Möglichkeit, dies, nach einem Sommer-Crashkurs an der Pädagogischen Hochschule Steiermark, zu unterrichten. 
Damals erkannte ich, dass gemeinsam mit Schüler/inn/en zu lernen für beide Seiten in vielerlei Hinsicht äußerst produktiv sein kann. Wir haben viele Preise gewonnen und waren sogar 2005 zum World Summit of the Information Society Tunis eingeladen.


Während eines großen Online Seminars (das würde man heute als MOOC bezeichnen) zu Schulentwicklung (TEOS – 2002-2004) erkannte ich das große Potenzial des eLearning und erfuhr am eigenen Leib, was nachhaltiges, individualisiertes, personalisiertes, vernetztes, kooperatives, orts- und zeitunabhängiges Lernen bedeutet. Was ich dort gelernt habe, setzte ich gleich mit im Unterricht meinen eigenen Schüler/inne/n um. eTwinning und Comenius Projekte waren die logische Folge.

2004 wurde ich von MR Helmut Stemmer eingeladen, bei eLSA (das Vorläuferprojekt für die Sek 1 von eEducation) in der Bundeskoordination mit zu machen. Zahlreiche Projekte, später im Rahmen meiner Tätigkeit als Bundeslandkoordinatorin für eEducation, eSchools-Vienna und voXmi, waren die Folge. Kurz gesagt, seit Teos ließ mich eLearning und Lernen mit digitalen Medien nicht mehr los.


Was ist die größte Herausforderung für Schulen im digitalen Zeitalter aus deiner Sicht?

In meinen Augen ist die größte Herausforderung, Unterricht mit digitalen Medien als eine Bereicherung zu erkennen und Lehrer/innen und Lehrer darüber ausreichend „aufzuklären“, dass digitale Medien nur dann eingesetzt werden, wenn es sinnvoll ist und sie das Lernen und Lehren (nachhaltig) unterstützen. 



Außerdem sollte uns allen bewusst sein, dass die Schule keine „geschützte Anstalt“ ist, die ohne Digitalisierung auskommt. 

Lehrer/innenfortbildung, die Möglichkeit an gelungenem Unterricht mit digitalen Medien als Beobachter/in teil zu nehmen und natürlich eine immer bessere, und leichter handzuhabende Ausstattung der Schulen (und Lehrer/innen) wären meines Erachtens wichtig.


Welche Herausforderung in Sachen Medienbildung und Schule könnte man relativ leicht und schnell erfolgreich begegnen – und wie?

Es sollte an jeder Schule mindestens eine/n ausgebildete/n Mediendidaktiker/in geben, ausgestattet mit Werteinheiten nur für Lehrer/innen/beratung, der/die sich vor allem um Lehrer/innen/fortbildung und, in Zusammenarbeit mit dem/der IT Kustoden/ Kustodin, um die Bereitstellung der entsprechenden Programme, Apps und sonstiger wichtiger Informationen zur Thematik kümmert. BYOD sollte selbstverständlich sein und einige Geräte in jeder Klasse für Schüler/innen, die nicht gut ausgestattet sind.


Was möchtest du neue Pädagoginnen und Pädagogen, die den Beruf 2019/2020 beginnen, geben?

  • Bleibt neugierig, lernt selber immer dazu!
  • Interessiert euch für den Alltag und die Interessen eurer Schüler/innen außerhalb der Schule!
  • Habt keine Angst zu experimentieren!
  • Tauscht euch regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen aus, helft und lasst euch helfen!
  • Bringt euch aktiv in der Schulentwicklung eurer eigenen Schule ein, d. h. gestaltet euren Arbeitsplatz mit!
  • Erkennt, bzw. haltet euch immer vor Augen, was eure wichtigste Aufgabe als Lehrende ist: Kinder und junge Leute am Weg zu selbstbewussten, kritischen, mündigen Menschen zu begleiten und ihnen Vorbild sein!

Schule 2050 - wie sieht sie aus?

Dass sich bis dahin viel ändert glaube ich nicht. Da bin ich etwas pessimistisch. Wenn die Schulen 2050 alle so „aussehen“ wie unsere eLearning- oder eEducation- Leuchttrumschulen heute, wäre das schön.



Andererseits: Eine neue Lehrergeneration ist im Anmarsch. Und ein großer Teil der jungen Kolleg/inn/en hat selbst schon einen anderen Unterricht erlebt als ich; also besteht doch Hoffnung, dass die Schulen offener, moderner, demokratischer und innovativer werden.

 Und die gemeinsame Schule aller Schüler/innen von sechs bis 14 ist für mich immer noch ein unbedingtes Ziel.


Vielen Dank für das Interview Erika! Wir wünschen dir nochmals alles Liebe für diese Lebensphase!

P.S. Da es nicht möglich ist, den unermüdlichen Einsatz von Erika widerzugeben, möchten wir exemplarisch hier den Bericht über 10 Jahre eLSA (E-Learning im Schulalltag) verlinken.

Darf ich helfen, Frau Lehrer? Voneinander und miteinander lernen - so verändern digitale Medien unsere Schulen